Cover Illustration von Jing Liang,
Titelgestaltung & Cover-Layout: Andra Dehelean

Epilog der Könige

Eine Barkeeperin mit rätselhaften Träumen, ein König im Exil, ein Schwertmeister ohne Aufgabe - sie haben alles verloren, aber zusammen gibt es Hoffnung auf Antworten, Liebe und Heimat.

Salje sieht ihren lange verschollenen Bruder Damian in verwirrenden Träumen und um ihn vor Folter zu retten, bittet sie in ihrer Verzweiflung seine mysteriösen Freunde
um Hilfe.
Zu ihrer Überraschung nehmen diese sie mit durch ein Portal in eine andere Welt voller Monster, Magie und Intrigen. Doch die Zeit für ihren Bruder wird knapp und plötzlich bricht ihre Verbindung zu ihm ab.
Die Hinweise auf seinen Verbleib sind rar und der Preis für Antworten hoch. Salje ist gänzlich auf den düsteren Aaron und seinen charmanten Freund Valerio angewiesen - Saljes aufflammende Gefühle für ihn machen die Sache nur komplizierter …

Epilog der Könige ist ein epischer Fantasyroman, der seine LeserInnen in eine ferne Welt führt, inspiriert an klassischen High Fantasy Büchern wie “Herr der Ringe” und Science Fiction Elementen wie “Star Wars”.

Wer “Fourth Wing” verschlungen hat und die verworrenen Liebesgeschichten von “Throne of Glass” nicht vermissen will, findet in Epilog der Könige alles was das Herz begehrt.

Salje

Geboren in unserer Welt, hatte Salje mit ihren 23 Jahren kein einfaches Leben. Ihre Mutter starb an Drogen und ihr Bruder verschwand spurlos als sie gerade erst neun war.
Wenn eine Reise durch ein Portal in eine andere Welt Besserung, Liebe, Familie und vielleicht sogar Magie verspricht, bricht sie auf ohne zu zögern.
Unter ihrer schweigsamen Oberfläche, kocht sie mit Wut und Verzweiflung, denn selbst der neue Ausweg, ist nicht so einfach, wie sie dachte. 
Wenn du nichts hast, kannst du auch nichts verlieren, war vielleicht der falsche Ansatz.

Aaron

Der König im Exil. Er ist die Stimme der ‘Zurückgekehrten’, ihr Anführer und Beschützer. Doch mit Macht kommt auch ihre düstere Verlockung und Aaron war noch sie sehr gut dem Streben nach mehr Macht zu widerstehen. 
Er ist einer der stärksten Magier seiner Generation, aber das reicht ihm nicht - er will seine Blutkrone zurück. 

Valerio

Der beste Schwertkämpfer des Reichs. Er ist ein Sonnenschein und das Herz der Gruppe, wenn er nicht gerade blutrünstig eine kleine Armee eigenhändig niedermetzelt. 
Eigentlich sollte er Salje im Schwert-kampf unterrichten und sie auf die Schrecken der Reise vorbereiten, aber schon bald ist er fasziniert von dieser starken und stillen Frau.

  • Dieser Roman enthält Inhalte die für manche LeserInnen verstörend sein können.

    Gezeigt, sowie erwähnt: Blut, Gewalt, Folter, Verstümmelung, Kämpfe, Vergewaltigung, Tod, Kindstod, Gefangenschaft.

    Erwähnt: Rassismus, Tod eines Familienmitglieds, sexueller Missbrauch, Alkohol- und Drogenmissbrauch.

    Verwendung von Schimpfwörtern.

  • 18. Jun 2024, Band 2 kommt Frühling 2025.

  • Wenn es nicht anders notiert ist, sind die Bilder mithilfe von Midjourney von mir erstellt worden und mit Photoshop lang und aufwendig weiterbearbeitet worden.
    Der Plan ist in Zukunft mehr Illustrationen von KünstlerInnen zu bekommen.

Leseprobe

Kapitel 1

fünf Besucher

Salje

Jeder in der Bar war sich über die Anwesenheit der fünf Männer im Eck bewusst. Die Stimmung war rau, die Gäste staubig und der Ton hart, aber daran war Salje gewöhnt. Doch diese Gruppe machte ihr Angst. Und heute war der Tag, an dem sie sie konfrontieren würde - die Zurückgekehrten.

Saljes Finger zitterten, während sie die Zurückgekehrten aus sicherem Abstand hinter der Bar beobachtete. Der Raum war erfüllt vom Flüstern der Gäste, sie steckten die Köpfe zusammen und erzählten die gleichen alten Geschichten. Selbst nach zehn Jahren eilten ihnen noch immer die Gerüchte voraus. Sie waren so tief verwoben mit der Identität dieser Stadt, dass sie das Leben fast jedes Bewohners streiften. Sie waren die verlorenen Söhne, zurückgekehrt und doch nicht wirklich da. 

Auf den ersten Blick unterschieden sie sich kaum von den müden Minenarbeitern, die Tag für Tag diese Bar aufsuchten. Denn auch ihre Kleidung war staubig, Dreck klebte an den schweren Stiefeln und kleine Falten des harten Lebens zeichneten sich in ihren Augenwinkeln ab. Und doch waren sie unverkennbar anders, wie sie sich hielten, bewegten und sprachen. Eine Aura umgab sie, die Salje die kleinen Härchen auf ihren Armen aufstellte. 

„Noch ein Bier, Süße”, rief einer der Stammgäste an den Tresen gelehnt. Hannah, Saljes beste Freundin, verdrehte die Augen von ihrem Platz an der Bar. 

Nichts an Salje war süß oder klein. Salje war einen Kopf größer als die meisten, kantig und mit einer harten Miene. Aber sie hatte sich an solche Kommentare gewöhnt.

Während sie ein Glas anhielt und den Zapfhahn zog, zuckte ihr Blick zu den fünf Männern hinüber. 

„Wo bist denn du mit deinen Gedanken?”, fragte Hannah und schaute ebenfalls über die Schulter.  

Salje räusperte sich und schenkte ihr ein Lächeln. Es strahlte nicht wie das von Hannah - ihre ehemalige Schulfreundin konnte jedes Mal die Sonne aufgehen lassen, wenn sie lächelte. 

„Die Zurückgekehrten …”, sagte Salje, während sie das Glas zu dem Gast schob. 

„Oh. Mein Vater sagt, sie sind verrückt und gefährlich.” Hannah kletterte auf den Barhocker und schob sich ihre wilden Locken hinters Ohr. 

„Sagt er das nicht auch über mich?” 

„Nein, du bist nur ein schlechter Einfluss.” Hannah lachte. Sie warf einen Blick zu ihren Freundinnen, die in ihren hübschen Partykleidern fehl am Platz wirkten. „Warum arbeitest du eigentlich immer noch hier? Kannst du dir nicht eine schicke Cocktailbar suchen?”, wechselte sie das Thema. 

Salje hob eine Augenbraue und verschränkte die Arme. „In dieser Stadt? Nenn mir eine.” 

Sie kniff die Augen zusammen. „Ein Punkt für dich. Diese gottverlassene Stadt hat einfach nichts. Nur Kriminelle und keine anständigen Männer.” 

Salje war bewusst, dass es ihrer Freundin unangenehm war, hierher zu kommen, wo alte Männer sie über den Schnaps hinweg anstarrten. Und auch, dass sich hier immer mehr Kriminelle sammelten, war ihr nicht entgangen. Früher war es eine der Anlaufstellen für die Bergarbeiter gewesen, wenn diese aus ihren dunklen Minen kamen. Doch auch die wurden immer weniger, wurden von Maschinen ersetzt und machten Platz für kleine Gangs. 

„Es ist trotzdem schön, dass du hier bist”, sagte Salje. Hannah wusste, dass sie von ihr keine großen Antworten zu erwarten brauchte, trotzdem bemühte sie sich. Jedes Mal, wenn sie von der Universität zurück in die Graue Stadt kam, verbrachte sie ihre Abende hier. Manchmal mit Salje allein, manchmal lockte sie ein paar ihrer Freundinnen in die Bar, so wie heute Abend. 

„Und du meinst ‚verrückt‘ und ‚gefährlich‘ ist nicht dein Typ?”, fügte Salje mit einem Nicken in Richtung der Zurückgekehrten hinzu.

„Die Mädels und ich haben schon darüber diskutiert, haben uns aber nicht geeinigt”, grinste sie. Unverhohlen blickte sie über ihre Schulter, musterte die Männer aufs Neue. „Vielleicht der Dunkelhaarige? Wie hieß er noch? Aaron. Er kommt sogar aus einer guten Familie - meine Eltern sind mit seinen befreundet.” 

 Salje stellte eine Runde Shotgläser auf ein Tablett und mischte eine Runde Schnaps in den Farben des Regenbogens an. „Du traust dich eh nicht sie anzusprechen”

„Ich bin doch nicht verrückt! Und du komm ja nicht auf dumme Gedanken!” 

Salje blieb ihr eine Antwort schuldig und schob das Tablett zu ihr. „Auf’s Haus.” 

Hannah seufzte. „John wird dir das vom Gehalt abziehen.” 

„Das ist okay.”

„Nein, spar lieber, damit du hier wegkommst.”

Nun war es Salje, die das Seufzen nicht unterdrücken konnte. Irgendwo hinter der Bar donnerte ein Güterzug vorbei und ihre Hoffnung, die Welt zu sehen, verfloss wieder. Nur Steine verließen diese Stadt. Steine und Hannah.

„Du bist schlau genug”, blieb ihre Freundin hartnäckig. „Hol den Schulabschluss nach und komm zu mir auf die Uni!” Sie führten dieses Gespräch jedes Mal, wenn sie sich trafen, und es wurde nie leichter. 

Saljes Blick fiel auf den Notizblock, auf dem sie vor ihrer Schicht ein paar Skizzen angefertigt hatte. Bevor sie sie aufhalten konnte, beugte Hannah sich über die Bar und schnappte sich die Zeichnungen. 

„Was ist das?”, fragte Hannah neugierig, die wie immer sofort bemerkte, wenn ihre Freundin etwas verstecken wollte. „Ist das Damian?” Etwas in ihr sackte zusammen, dämpfte das Strahlen in ihren Augen. 

Mit zusammengepressten Lippen riss Salje ihr den Block aus der Hand. 

„Oh Salje …” 

Salje hörte den Schmerz in ihrer Stimme, doch er echote nur in der Leere ihrer eigenen Brust. Irgendwann erreichte ein Herz den Punkt, an dem es nachgab, jeden Hieb hinnahm, aber zu weich geschlagen war, um noch zu brechen. 

„Ich denke manchmal an ihn”, brachte sie hervor und schob den kleinen Block in die Tasche ihrer Jeans. Ihre Stimme war brüchig und im Versuch, das zu überspielen, machte sie sich daran die Aschenbecher auszuleeren. 

„Es ist vierzehn Jahre her … Du kannst dich nicht für immer wegen deinem Bruder an diese Stadt ketten.” Hannahs Worte waren hart, aber ihr Ton weich. 

Ihre Freundin fühlte mit ihr, als würde jeder Schnitt auch sie treffen. Sie kannten sich seit dem Kindergarten, weil diese Stadt für Klassenunterschiede nicht groß genug war. Sie war dabei gewesen, als Saljes Leben von Jahr zu Jahr mehr zerfiel und versuchte mit aller Kraft die Teile zusammenzuhalten, selbst wenn Salje nicht mehr kämpfte. 

Aber was war, wenn Damian zurückkam? Die Frage lag ihr auf der Zunge, doch sie wagte es nicht, sie auszusprechen. 

Die Stille zwischen ihnen zog sich, bis Hannah schließlich die Schultern hängen ließ. Sie nahm das Tablett und rutschte vom Hocker, da hielt sie noch einmal inne. 

„Salje …”, sie nickte in Richtung der dunklen Ecke. „Diese Männer sind nicht die Lösung.” 

In dem Moment öffnete sich die Eingangstür und fünf Männer stürmten herein. Über die Gesichter hatten sie Sturmhauben gezogen, ihre Kleidung bestand aus einer wilden Mischung aus Trainingsanzügen und gefälschten Designerlogos. In ihren Augen funkelt etwas Unberechenbares, Irres. 

„Fuck. Du solltest lieber gehen“, zischte Salje ihrer Freundin zu. Unter den weiten Westen versteckten sich meistens Messer oder Pistolen und die Drogen in ihrem Blut machten diese Männer unberechenbar. 

Doch Hannah war wie erstarrt, das Tablett immer noch in der Hand. Vom Tisch ihrer Freundinnen kam ein erschrockener Schrei und die Mädchen rückten enger zusammen. 

Der Anführer der Gruppe baute sich vor dem Tresen auf und zückte eine Pistole. Er richtete die Waffe auf Salje, ein Weiterer zielte auf die Gäste. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Salje in die Mündung. 

„Wer die Polizei ruft, fängt `ne Kugel!“, blaffte der Anführer. Seine tiefe Stimme war sonderbar vertraut - Salje musste einen Fluch unterdrücken. 

„Dave?”, keuchte sie, bevor sie sich stoppen konnte. 

Die dunklen Augen des Anführers verengten sich, während er einen Schritt auf sie zumachte. Kurz senkte er den Lauf, doch dann fasste er sich wieder und deutete zur Kasse. 

Diese Stadt war zu klein, jeder kannte jeden. Dave hatte Salje ihre erste Zigarette gegeben, weil er es lustig fand, wie sie hustete und hinter die Turnhalle kotzte. Er war immer mit von seinem Vater blau geschlagenen Auge in die Schule gekommen und schwänzte dann trotzdem. Irgendwann hatte sie ihr erstes Mal mit ihm gehabt, er nahm sie mit auf Partys und schenkte ihr Ablenkung, wenn Trost nicht mehr ausreichte. Wenn es nur damit geendet hätte … 

Sein Kollege warf einen Rucksack auf den Tresen und Salje begann wortlos, ihn mit dem wenigen Geld aus der Kasse zu füllen. Sie würde keine Probleme machen, dieser Job bezahlte nicht gut genug, als dass sie ihr Leben aufs Spiel setzte. Es war lange her, dass sie noch einschätzen konnte, zu was Dave fähig war. 

„Und jetzt ihr - her mit dem Geld!“, rief Dave an die Gäste gewandt. Langsam griffen die Besucher in ihre Taschen, holten Geldbörsen und Handys hervor. Keiner hatte hier viel zu geben, der letzte Lohn war schon vor Wochen ausgezahlt worden.

Erst jetzt schien Dave die Männer am hintersten Tisch zu bemerken. Salje konnte sich das breite Grinsen unter seiner Maske nur zu gut vorstellen. 

„Wen haben wir denn da …“, setzte er an. 

Salje kannte sie alle bei Namen, nicht nur, weil sie die Freunde ihres Bruders gewesen waren - jeder kannte sie. Am äußersten Platz saß Valerio, der große Blonde der Runde, mit langen Haaren, die er stets zu einem hohen Zopf zusammenband. Innerlich flehte Salje ihn an, vernünftig zu sein. 

Dave ragte unmittelbar vor ihm auf, die Pistole locker auf die Gesichter der Männer gerichtet. Valerio löste die Finger von seiner Bierflasche und legte die Hand flach auf die Tischplatte. 

Die Gerüchte, die sich um die Zurückgekehrten rankten, reichten nicht aus, um die jungen Männer abzuschrecken. Sie wollten sich mit ihnen messen, sie provozieren, ihnen eine Reaktion entlocken. Auch wenn sie keine glänzenden Berühmtheiten waren, so waren sie doch eine tragische Geschichte, die es in die internationalen Nachrichten geschafft hatte. Das war schon ein Jahrzehnt her und nun wurden die Gerüchte langsam zu urbanen Legenden, die über Bier und Schnaps erzählt wurden. 

Doch für Dave war es immer schon ein bisschen mehr gewesen - eine Versessenheit. Vielleicht weil er gesehen hatte, was sie mit Salje angerichtet hatten, ohne es zu merken.

„Her mit eurem Geld.“ Spot schwang in Daves Stimme mit. „Die Prominenz der Stadt … Opfer …“ 

Wortlos folgten die Männer den Anweisungen und legten alles auf den Tisch. 

„Gebt auch gleich eure Freundschaftsringe her”, wies Dave die Zurückgekehrten an. 

Von Daves Freunden kam ein gehässiges Lachen, während sie den Leuten an den anderen Tischen das Geld abnahmen. 

Doch Valerio betrachtete seinen Siegelring, den alle fünf Männer trugen, dann schenkte er dem Kleinkriminellen ein müdes Lächeln. 

„Ich glaube … die wollen wir behalten“, erwiderte er. 

Salje schüttelte den Kopf. Bloß keine Szene machen!

Inzwischen hatten die anderen Gangmitglieder die Geldbeutel der Gäste eingesammelt und bauten sich im Halbkreis um ihren Anführer auf. 

„Her damit!“, blaffte Dave, deutlich angespannter, weil er vor seinen Leuten das Gesicht wahren wollte. 

Doch die Männer reagierten nicht. Vielmehr wechselte Valerio einen Blick mit dem Dunkelhaarigen - Aaron. Unausgesprochene Worte wurden ausgetauscht, die Aaron mit einem Schulterzucken beantwortete. Er lehnte sich zurück und nun schaute auch der Letzte in der Runde - George - von seinem Bier auf, gespannt auf Valerios Reaktion wartend. 

„Warum so still auf einmal? Habt ihr etwa Schiss? Nicht mehr so vorlaut, wenn ihr nicht in eurem Schloss sitzt? Aber das hier ist die harte Realität. Und ihr habt keine Ahnung davon.“ Dave kicherte leise und ihm schien zu entgehen, dass sich die ausgestreckte Hand auf der Tischplatte langsam anspannte. Valerios Miene war aus Saljes Entfernung schwer zu lesen, doch sein Mundwinkel zuckte verräterisch. 

„Ihr solltet gehen“, sagte Guido, den Salje von den Fünf schon immer für den Vernünftigsten gehalten hatte. Er war ein gewaltiger schwarzer Hüne, mit weichem Lächeln und sanfter Stimme. Er schien hier der einzige zu sein, der keinen Streit wollte. 

„Oder was? Wollt ihr uns zu Tode glotzen?“ Dave bemerkte, dass er die volle Aufmerksamkeit der Bar hatte, was ihn noch mehr antrieb. Alle hielten den Atem an und verfolgten das Gespräch. Wie früher auf dem Schulhof. 

„Zeig’s ihnen.“ Ein böses Lächeln hob Aarons Lippen, seine schwarzen Augen funkelten. 

„Lass es, sie sind es nicht wert“, widersprach Guido. 

„Ihr seid feige Wixer.“ Lachend machte Dave eine ausholende Bewegung und stieß dabei zwei Bierflaschen um. Weiß schäumend ergoss sich der Inhalt über den Tisch und spritzte auf die Zurückgekehrten. Dann drückte er Valerio die Mündung der Pistole an die Schläfe. „Die Ringe und euer Geld. In eurem Schloss solltet ihr genug davon haben.“ 

Valerio reagierte blitzschnell. Er griff hoch, packte die Pistole und richtete sie gerade noch rechtzeitig an die Decke, als sich auch schon mit einem lauten Knall ein Schuss löste und der Putz herabrieselte. 

Salje zuckte zusammen und packte Hannahs Schulter über den Tresen hinweg, um sie aus ihrem Schock zu holen, doch diese starrte wie gebannt auf die Szene, die sich ihnen darbot. Das Tablett glitt aus ihren Händen, während ihre Freundinnen sich mit spitzen Schreien unter den Tisch duckten. 

Währenddessen packte Valerio mit der anderen Hand Daves Hinterkopf und knallte sein Gesicht gegen die Tischkante. Es knirschte ekelhaft, als seine Nase brach. Dave schrie auf und noch während er abgelenkt war, verdrehte Valerio ihm die Hand, bis er die Pistole fallen lassen musste. Mit einem Tritt schlitterte sie über den Boden, weit aus Daves Reichweite. Da ließ Valerio ihn schon fallen, griff nach der umgekippten Flasche und schlug sie im Aufstehen dem nächsten Kerl gegen die Schläfe. 

„Hannah!“ Endlich erreichte Salje ihre Freundin und zerrte sie hinter die Bar. Innerlich hoffte sie, dass die Kühlschränke im Tresen Querschläger abblocken konnten. 

Der dritte Kerl löste sich aus seiner Starre, erinnerte sich an seine Pistole. Doch Valerio war schneller. Mit angeekelter Faszination beobachtete Salje, wie er ihn auf die Knie zwang und ihm mit einem kraftvollen Tritt den Arm brach. Dann stieß er ihn zu seinem Freund auf den Boden.

Die letzten beiden hatten Klappmesser gezückt, doch bevor sie diese einsetzen konnten, war Valerio hinter einem. Er packte die Hand des Ersten und stieß sie mit der Klinge voraus in den Oberschenkel seines Besitzers. Der Kerl schrie auf, doch Valerio zog das Messer sofort wieder heraus. Er schleuderte es in Richtung des letzten, in dessen Schulter es stecken blieb. 

Hannah sog scharf die Luft ein. Sie kauerte hinter Salje, die schweißnassen Finger mit den ihren verschränkt, mehr konnte sie für ihre Freundin im Moment nicht tun. Mit der freien Hand zog Salje sie an sich, hielt sie, während sie das Gesicht in ihrer Schulter vergrub. Doch Salje konnte nicht wegsehen. 

Dave hatte sich wieder gefangen und die Pistole am Boden erreicht. 

Er feuerte Schüsse in Valerios Richtung. Die ersten beiden verfehlten. 

Salje duckte sich tiefer hinter die Kühlschränke, Hannahs zitternder Körper an ihrer Seite. Sie hörte noch, wie die Männer miteinander rangen und sich ein dritter Schuss löste. Innerlich fluchend, das Herz bis in den Hals hämmernd, löste sie sich von ihrer Freundin. Irgendjemand musste etwas tun, bevor das hier noch böse endete und Hannah verletzt wurde. Es war schon zu spät, um die Polizei zu rufen.

„Bist du verrückt?“, zischte Hannah, als Salje bis zum Ende der Bar kroch und dahinter hervorlugte. 

Valerio stand mit geballten Fäusten Dave gegenüber, der die Pistole auf ihn richtete. Alle Anwesenden waren erstarrt, keiner wagte es einzuschreiten. Selbst Valerios Freunde beobachteten das Geschehen vollkommen gelassen, in ihre Bank zurückgelehnt. Verdammte Idioten. 

Da fiel Salje das blutverschmierte Messer auf, das nur zwei Schritte von ihr entfernt lag. Ohne zu zögern, huschte sie hinter der Bar hervor, hob es auf und ließ es über den Boden zu Valerio schlittern. 

Es war ein Augenblick der Verwirrung für den Schützen, der sich zu ihr umdrehte und die Pistole jetzt auf sie richtete. Doch es war genug Zeit für Valerio, das Messer aufzuheben und in einer fließenden Bewegung zu Dave aufzuschließen. Die Klinge glitt durch seine Haut, eine Spur aus rasch hervorquellendem Blut nach sich ziehend. Mit Leichtigkeit entwand er ihm die Pistole und mit einem letzten Stoß rammte er die Klinge in Daves Oberschenkel und stieß ihn zu Boden.

In der darauf folgenden Stille hallte das Klicken laut wider, als Valerio das Magazin entfernte und die Patrone aus dem Lauf schnippte. Mit einem undeutbaren Lächeln legte er sie auf dem Tresen ab. 

Alle Gäste in der Bar hatten das Geschehen gebannt verfolgt, waren mitten in der Bewegung erstarrt. Langsam standen ein paar Männer von ihren Hockern auf, doch keiner schien wirklich zu wissen, was zu tun war. Mit einem Räuspern wischte Valerio sich die blutigen Hände an der Hose ab. Seine Freunde erhoben sich und stiegen, ohne eine Miene zu verziehen, über die geschundenen Körper hinweg. 

Es brauchte nicht mehr, da fielen die Minenarbeiter über die winselnden Räuber her und holten sich ihr Geld, Uhren und Handys zurück, fixierten ihre Körper am Boden. 

Valerio trat zu Salje an die Bar und fischte seine Geldbörse aus der Hosentasche. „Tut mir leid wegen denen“, sagte er leise und deutete in Richtung der Kerle, die sich wimmernd die Wunden hielten. „Und danke für das Messer. Das war mutig.“ Seine Augen strahlten so lebendig, wie Salje sie noch nie gesehen hatte. 

Er bezahlte und legte wie immer ein bisschen mehr Trinkgeld dazu, als nötig gewesen wäre. Dabei fiel ihr Blick auf seine blutverschmierten Knöchel, den goldenen Ring darüber und etwas in ihrem Magen zog sich zusammen, ließ ihr Herz schneller schlagen. 

Mit einem Nicken verabschiedeten sich auch die anderen Zurückgekehrten und verließen die Bar. 

„Fuck“, stieß Hannah aus, während sie sich vorsichtig hinter der Bar aufrichtete und den Männern hinterherstarrte. „Und du lachst, wenn ich sage, du sollst dir eine andere Bar suchen.“ 

Auf noch wackeligen Beinen kehrte sie zu ihren Freundinnen zurück, die hektisch ihre Sachen zusammenklaubten. Geistes-abwesend nickte Salje und sah ebenfalls den Männern nach, hinter denen die Eingangstür krachend ins Schloss fiel. 

Sie hinterließen eine Leere, die Salje zuerst für Schock hielt, die Kälte, nachdem sie in die Augen des Todes geblickt hatte. Aber während sie eine Runde Tequila ausgab, spürte sie etwas anderes. In dem Moment, als sie nach dem Messer gegriffen hatte, hatte sie sich lebendiger gefühlt, als in den letzten zehn Jahren. 

Rasch würgte sie den Gedanken zusammen mit einem Shot herunter, bis nur noch der Alkohol in ihrer Kehle brannte. Vielleicht war heute doch nicht der Tag, an dem sie die Zurückgekehrten konfrontieren würde. 

Noch bevor Hannah und ihre Freundinnen sich verabschiedeten, rief Salje Polizei und Rettungswagen. Dave hinkte zur Hintertür hinaus, sie hielt ihn nicht auf. 

In der Grauen Stadt konnte sie nichts mehr überraschen.

-*-

Die Schornsteine der Raffinerien spieen Rauch in den rosa Morgenhimmel, als Salje endlich die Bar verließ. Die Polizei war gekommen, hatte ein paar Junkies, die zu langsam waren, festgenommen und ein paar Zeugenaussagen aufgenommen. 

„Und du sagst, es war einer der Zurückgekehrten, der sie zusammengeschlagen hat?“, hatte der Kommissar gefragt. „Alleine?“, hatte er nachgehakt, als könne er es nicht glauben. Sein Kopfschütteln darauf hatte alles gesagt: verlorene Seelen, halb verrückt, aber vor allem gefährlich. 

Zwei Mal hatte diese Stadt in ihrer Geschichte internationale Schlagzeilen geschrieben. Einmal vor vierzehn Jahren, als zwölf Jungen verschwanden - spurlos, von einem Tag auf den anderen. Sie waren die verlorenen Söhne, bis sie vier Jahre später zurückkehrten. Wortlos und von wer-weiß-wo. Auf Pferden kamen sie die Hauptstraße entlang geritten, in sonderbarer Kleidung, mit Narben und totem Blick. Alle wussten, dass sie nicht mehr die Jungen waren, die die Stadt einst verloren hatte. Wieder schrieben die Nachrichten, doch auch sie fanden keine Antworten. 

„Gehst du jetzt heim?“, fragte John, der Eigentümer der Bar, während sie das Gitter vor dem Eingang herunter zog und abschloss. Es war eine rhetorische Frage, sie hatten sich nie viel zu sagen. 

Die Frühlingsluft war kalt und Salje zog die Jacke enger, verschränkte die Arme vor der Brust. „Sieht wohl so aus.“ 

„Schon verrückt diese Jungs …“ 

Sie wusste nicht, ob er zu ihr sprach, so sehr beugte er sich über die Zigarette, im Versuch sie anzuzünden. Er war ein buckliger, alter Mann, mit Haaren am Rücken, die ihm dafür auf dem Kopf fehlten. 

„… Mit denen ist etwas ziemlich schief gelaufen. Man muss schon einiges gesehen haben, um einen Kerl so klein zu schlagen wegen einem Ring“, brummte er. 

„Mein Bruder war einer von ihnen“, sagte Salje, aber auch sie hatte sich diese Frage gestellt. 

Nun schaute er sie an. „Stimmt. Das vergisst man immer wieder.“ 

Stille legte sich zwischen sie und Salje trat ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. 

„Einmal was von ihm gehört seitdem?“ Es interessierte ihn nicht, wie taktlos die Frage war, denn jeder wusste, dass es kein Wort von jenen gab, die nicht zurückgekehrt waren. Auch nicht von Damian.

„Nein.“ Saljes Blick schweifte die Straße hinunter. Sie lag still und leer da, in der Ferne türmten sich die Berge auf. Schließlich winkte sie John zu und fischte ihren Autoschlüssel hervor. „Wir sehen uns morgen Abend.“ 

Er nickte nur und blieb noch vor der Bar stehen, an seiner Zigarette saugend. 

Damian war gerade erst achtzehn geworden, als er mit elf anderen Männern verschwunden war - ohne Vorwarnung oder Abschied. Die Hälfte von ihnen tauchte vier Jahre später wieder auf und wurde von den Medien als die Zurückgekehrten gefeiert. 

Aber ohne ihren Bruder. Und bis heute wusste keiner, was mit ihnen passiert war.

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